Bild 4.  Der Schiffbrüchige


Bild 4. Der Schiffbrüchige  

Nach dem Abtauchen der lebenden Insel rudert Sindbad mit bloßen Füßen auf einem Bottich durchs nächtliche sturmbewegte Meer.

In Tausendundeinenacht ist nicht wie in Stefan Marts Nacherzählung davon die Rede, dass Fische den schiffbrüchigen Sindbad begleiten und aus dem Wasser springen, "wie um ihn anzufeuern". Offenbar hat der Illustrator dieses Detail hinzugedichtet, um das schillernde, bizarre Gewimmel der Meeresbewohner besser darstellen zu können: Fische, die über dem Wasser schwimmen, denn unter dem Wasser sieht man sie nicht - unsere Traum-Regie braucht diese kleinen Ausreden, um das Unmögliche darstellen zu können. "Warum sollten die vom Winde hoch geblähten Segel das Schiff nicht auch in die Luft hineintragen?" fragt der Märchenerzähler in seinem Vorwort. Und warum sollte es, wenn schon Luft-Schiffe erfunden sind, nicht auch Luft-Fische dazu geben? Tatsächlich kommen solche Luftfische in Märchen der Völker vor, z. B. auf Bild 146, Wesen der Tiefsee, in der vorletzten Erzählung des Buches.

Die Verwandlung der Märchenfigur Sindbad in den toon Sindbad ist nun perfekt, sowohl das Kostüm - roter Riesenturban mit goldenem Halbmond, golden betresstes grünes Jäckchen, vergoldete Pistole im Gürtel, "türkische" Pantoffeln -, als auch die Motorik. Ein toon ist nicht perfekt, solange er nicht in heftiger Bewegung vorgeführt wird; ein echter toon ist ein Wesen auf dem Sprung, ein flüchtendes Wesen so wie hier.

Der Fluchtmotorik entspricht die räumlich-farbliche Bildkomposition: weg vom dunkelviolett drohenden, nächtlichen Horizont des offenen Meeres, hin zum bleichen Morgenhimmel, wo in hellgrünem Wasser der rettende Strand liegt.

Sindbads Gesichtszüge sind von Angst und Anstrengung entgleist. Mit wenigen, meisterhaft plazierten Strichen analysiert der Illustrator diese Miene und vergißt auch nicht den Ekel als häufigen Begleiter der Todesangst. Hier ist es der Ekel vor der Tiefe, vor den kalten Fischleibern, vor dem feuchten Grab in den Wogen. Ein Quentchen dieses Affekts teilt sich dem empfindlichen Bildbetrachter mit, der von der eigentümlichen Keisschwingung des Bildaufbaus sowieso ins Anfangsstadium der Seekranheit versetzt wird.

Besser auch als nackte Angst eignet sich Ekel, um das Lachbedürfnis des Betrachters zu bedienen. Der Karikaturist übertreibt ihn durch die zimperliche Geste, mit der Sinbad seine Schnabelschuhe hochhält und erzielt damit die für den comic obligate Wirkung.

Beachtenswert an diesem Bild ferner die feine Beobachtung und technisch brillante Wiedergabe der Wasseroberfläche.


DIESES BILD IM MÄRCHENBUCH AUFSCHLAGEN