uf der Insel Bimini, weit von der afrikanischen Küste entfernt, im
Atlantischen Ozean, lebte der große Mulungu, das magische
Krokodil. Er war über tausend Jahre alt, grün wie eine
unreife Quitte, mit Moos und Algen bewachsen. Seine schwefelgelben
Augen phosphoreszierten mit unheimlichem Glanze und hatten eine
magische Kraft. Dieses uralte Krokodil, das den Geist des großen
Mulungu verkörperte, marschierte aufrecht auf
Hinterfüßen und Schwanz, lenkte Regen, Sturm, Blitz und
Donner und verstand sich auf alle Künste der schwarzen Magie.
Darum wurde es von dem Inselkönig "Jim Ra" und seinen Untertanen
gefürchtet und hoch verehrt. Keiner des Stammes zweifelte an
seinen wunderbaren Fähigkeiten, höchstens mal an seinem guten
Willen, wenn hin und wieder etwas nicht stimmte. Der Medizinmann
Kohobbo und der weise Tumaan waren schon oft bestraft worden, weil sie
zuweilen ungläubig zu lächeln wagten, wenn man ihren Worten
keine Beachtung schenkte, sondern blindlings dem großen Mulungu
folgte, und Ana, der blaue Papagei, bekam seiner unpassenden
Bemerkungen wegen stundenlang kein Wasser.
Eines
Tages nun,
am Tage des Regenfestes, an dem der prophezeite Regen ausblieb, bewegte
sich das Krokodil unter dem feierlichem Tam-Tam sämtlicher
Trommeln und Pauken zum Könige und seine geheimnisvolle Miene
verriet, daß es etwas Großes zu verkünden habe. Im
Dorf hielt alles den Atem an; es hatten sich zu beiden Seiten zwei
lebende schwarze Mauern gebildet, um den Verkünder hindurch zu
lassen. Die Sitze der Ältesten des Dorfes waren voll besetzt, und
der König "Jim Ra", umgeben von einigen weißbärtigen
Nachkommen seines uralten Stammes, wartete ungeduldig auf den
Propheten. Hochaufgerichtet marschierte dieser heran. - "Mulungu,
Mulungu..." murmelten die erschrockenen Dörfler. Mulungu aber
verhüllte seine gelben Augen, drehte sich dreimal um sich selbst
und schlug dreimal mit dem Schwanz in den Sand. Die ängstliche
Neugier ließ sämtliche Gesichter zu Masken erstarren. Das
Krokodil hub an mit von Tränen erstickter Stimme: "Ihr seht meine
Tränen fließen, wie meine Schuppen sich sträuben, mir
graut zum ersten Male in meinem Leben vor meinem Wissen; mein altes
moosbedecktes Haupt ist von unheimlichen Ahnungen umgeben. Nicht aus
eigenem Antriebe komme ich, um euch das geheimnisvolle Dunkel der
Zukunft zu enthüllen; das Geheimnis drängt mich, das
furchtbare Geheimnis, das seit Monden im schwärzlichen Moraste der
Urwaldstille brütet!" - Die ganze Dorfbevölkerung, die jetzt
einen großen Kreis bildete, warf sich mit dem Gesicht in den
trockenen heißen Sand und manche vergruben vor Furcht den Kopf
darin.
"Jim Ra" wurde blaß unter seiner schwarzen Haut. - "Pulla, rum
Pulla!" - fuhr das Krokodil fort und wischte sich die langen
Tränen ab." Vor weit über tausend Jahren erhob sich die Insel
Bimini durch eine Katastrophe im Innern der Erde aus dem Meere.
Öde und tot, von keinem Wesen belebt, lag das Land da, nur im
Schlamme lag 'Ovum', das Ei, aus dem der erste Urahn des
ehrwürdigen Bantu-Geschlechtes oder 'Ra' und ich geboren wurden.
Dann kam Sonnensegen, Regen und 'Lo Lama', der Erdgeist, brachten dem
Urahn die Frau 'Mi'. Nun, nach jahrhundertelangem Gedeihen - oh,
daß ich nie aus dem Ei geschlüpft wäre, Euch solche
Kunde bringen zu müssen, - nun, in drei Monden wird unsere
schöne Insel im Meere verschwinden, wie sie aufgetaucht ist. Die
Insel Bimini wird also untergehen!" Mulungu, das Krokodil
verhüllte seine tränenerfüllten Augen, drehte sich
dreimal um sich selbst, schlug dreimal mit dem Schwanz in den Sand und
verschwand. - In seinem Morast angekommen, hatte Mulungu seine
Krokodilstränen schnell getrocknet; es riß den Rachen auf
und lachte, daß es ihm aus den Ohren trompetete. Dann legte es
sich erwartungsvoll in den Schlamm und lauerte. Meereicheln,
Meerschweinchen schmeckten ihm schon lange nicht mehr und Affen waren
ihm ganz zuwider; die schmeckten nur nach Bananen und Johannisbrot. Ihn
gelüstete nach schmackhaftem Menschenfleisch. Das heuchlerische
Krokodil hatte sich nicht verrechnet.
Es dauerte gar nicht lange, da rauchten im Dorf die Herde und dampften
die Wasserkessel. Alle Schweine, Ziegen, Hühner, Enten des Dorfes
wurden geschlachtet und gebraten, alle Vorräte an Getreide in die
Kessel geworfen und gekocht, alle Kalebassen mit Bier und starken
Getränken geöffnet und es ging ein Feiern und Schmausen los,
daß es eine Art hatte. Die Dörfler wollten, den sicheren Tod
vor Augen, wenigstens vorher noch einmal tüchtig feiern und sich
gütlich tun. Vergebens versuchten der Medizinmann Kohobbo und der
weise Tumaan dem Treiben Einhalt zu gebieten und den teuflischen Plan
des Mulungu aufzudecken. Die Leute aber ließen sich in ihrem
Festrausch nicht stören. - Jetzt war es an der Zeit. Mulungu
schlich sich an den Tumult heran und holte sich erstmal Kohobbo, seinen
Widersacher und den weisen Tumaan; dieses Mal rollten ihm
Schlemmertränen aus den falschen Augen. Keiner im Dorfe merkte
etwas davon. Mulungu konnte sich also ungestört die besten Happen
holen. Als letzter blieb der König "Jim Ra" übrig und den
fraß Mulungu in aller Freundschaft. Das magische Krokodil war so
groß und dick geworden, wie ein vorsintflutliches Ungeheuer, und
die Insel Bimini, zu klein geworden, versank mit ihm im Meere.