Schauen wir zurück in das antike Sagenland der Griechen! -
Vergegenwärtigen wir uns hier ein Bild:
Über der hellenischen Küste wird Licht. Aurora, die
Morgenröte, gleitet in die glutvollen Arme des Sonnengottes
Helios, der aufsteigt im rossegezäumten Flammenwagen. - Arkadien
in Glanz und Glorie: Grünende Fluren - Hirtenflöten - im
Spiele tanzende Najaden - in dunklen kühlen Hainen marmorne Tempel
auf dorischen Säulen; - bockspringende Faune - rasende
Mänaden - kämpfende Centauren. - Götter halten
Zwiesprache mit Königen, senden ihre Boten zu den Menschen. - Die
Welt Homers - die Welt, die jetzt versunken und vergessen. - Nun, -
lassen wir eine, von all den vielen Sagen erstehen! Etwas Lustiges von
Menschen und Göttern:
Midas, dazumal ein König, so riesig reich wie dumm (es gab auch
dumme Könige), mußte dafür büßen, daß
er nicht wußte, wie dumm er war. Er maß sich selbst in
seinem Unverstand mit Göttern. Bacchus, der Gott der Trauben, gab
es auf, ihn zu belehren, erfüllte ihm daher, nur um ihn los zu
sein, jeglichen Wunsch.
Und
König Midas hatte täglich neue Wünsche. "Mache, liebster
Gott, daß alles Gold wird, was ich je berühre!" - bat einst
der König unbedenklich. Dem Gotte kam der anspruchsvolle Wunsch
nicht überraschend; er gab dem Menschen seine Hand und sprach mit
wohlverstellter Miene: "Wohlan, es sei gewährt!" und König
Midas ging beglückt von dannen. - Der Stein am Weg, den seine Hand
berührtet wurde Gold. Ähren, Äpfel, Blumen,
Schüssel, Tisch und Wände, alles wurde blankes Gold. Doch
wehe, auch die Speisen wurden hartes Gold und brachen ihm die
Zähne ab. Ein kühler Trunk rann ihm als goldener Klumpen in
die Kehle. So ging es eine Zeitlang. Bis endlich, elend und dem
Hungertod verfallen, der unermeßlich reiche König vor des
Bacchus Tempel lag und flehte: "Hilf! o Gott, ich sterbe!" Gott Bacchus
lachte ob der wohl verdienten Strafe und gab ihm gnädig die
Erlösung. Nach dieser kleinen Episode, in der vermessentlich ein
Mensch, wie König Midas, einem Gotte lästig wurde, sollte man
denken, daß der Besagte, wenn dieser auch in Anstands- und
Verstandessachen unbegabt, respektvoll seine Lehren zieht. Nicht so der
Midas. Wir hören nun, daß unser unverbesserlicher König
mit Gott Apoll, dem Herrn der Töne, schon bald darauf in eine
Fehde kam, woraus die unwahrscheinlich komische Geschichte sich
erklärt, daß einem König schimpflich Eselsohren
wuchsen. -
Nach jener tüchtigen Lektion erging sich König Midas zur
Erholung auf Arkadiens schönen Fluren. Es führte ihn sein Weg
durch einen Zirbelhain.
Die Blätter an den Zweigen wisperten und rauschten, ein munterer
Quell sprang lustig plätschernd aus dem Felsgestein, die
Käfer und die Falter summten und kleine wie auch große
Vögel trillerten und jubilierten. Das alles im Zusammenklang war
ein Konzert von wundervoller Harmonie. Man sollte meinen, einem
Menschenkinde sei dieses Weben, Klingen der Natur vom Himmel eine
Offenbarung, ein Festgeschenk von einem gnädigen Gotte. Wie alle
dummen Sterblichen, war König Midas solcher Gnade
unempfänglich. Im Gegenteil, es wirkten diese Stimmen der Natur
auf seine Ohren gar wie lästige Geräusche. Das ärgerte
Apoll, den Gott der Lieder, der hier im helligen Haine seine
Tempelstätte hatte. Er trat dem König in den Weg, griff in
die Saiten seiner Leier und fiel mit Sang und Klang in die Musik des
Waldes ein, daß in der Luft ein Klingen lag, berauschend
schön wie ein Orchester wohl aus hunderten von Instrumenten. Statt
andächtig zu lauschen und respektvoll sich zu beugen, regte sich
in König Midas Brust einzig und allein der Wunsch, sich selbst
hervorzutun. Obgleich er für die Kunst der Töne kein
Verständnis hatte, versuchte er, in der Verblendung seiner
Eitelkeit, Verständnis vorzutäuschen. Er kritisierte dies und
das, bemängelte den Rhythmus wie das Adagio, und störte
ungeniert die göttliche Musik durch lautes Zwischenreden. Der Gott
Apollo winkte schließlich ab; doch widersprach er nicht dem
unverbesserlichen König und meinte scheinbar heiter: "Für
meine edlen Melodien sind deine Ohren wohl ein wenig kurz, mein
König!" Dem Störer wuchsen plötzlich lange Ohren, die
ihm am Kopfe wackelten nach Eselsart. -
So strafte Gott Apoll die Dummheit. Der Schreck war groß. Nun
hieß es, diese Schande zu verbergen. Und Midas floh in seiner
Gärten Einsamkeit und rief nach Zeus, dem Göttervater, er
möge ihm verraten, welcher Schuld er solche Ohren zu verdanken
habe. "Der Dummheit!" - tönte wie ein Donnerkeil des Gottes
Stimme. In seiner Not grub Midas sich ein Loch an einem Tümpel und
rief sein Leid hinein wohl zwanzigmal, worauf er es mit einem Stein
beschwerte. Auf diese Weise vertraute er der Erde sein Geheimnis an und
glaubte fest, es sei vergraben und vergessen. Doch daß die Erde
weiblich ist und alles Weibliche nicht schweigen kann, das wußte
der dumme König nicht. - Schon flüsterte das Schilf am
Wasser: "König Midas hat Eselsohren!" Dann wußten es die
Bäume, Vögel, Wind und Wolken und jedes Haus. Im ganzen Land
ging das Geheimnis um: "König Midas hat Eselsohren." - Da endlich
sah der König seine Dummheit ein, band sich ein graues Fell um
seinen Leib und ging zur Buße unter eine Herde Esel. -
Fürwahr ein königlicher Esel! - Die Götter aber, die die
Dummheit strafen, erhoben im Olymp ein schallendes Gelächter.