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Don Quixote XIII. Die Verzauberung Dulcineas

Don Quixote hatte Sancho Pansa überredet, mit ihm nach Toboso zu wallfahrten, um von der Dame seines Herzens neuen Segen zu erbitten für seine ferneren ruhmreichen Abenteuer. "Ein Blick von ihr, Freund Sancho, wird mich gewaltig stärken, so daß ich ganz unvergleichlich werden muß an Mut und Tapferkeit", stieß der Ritter mit freudig pochendem Herzen hervor. Noch in der Nacht erreichten der fahrende Ritter und sein Knappe das Dörfchen Toboso. Rosinante, das edle Schlachtroß, wieherte laut und Sanchos Eselein fing aus voller Kehle an, sein wohllautendes "I-a" zu brüllen. Alles, was im tiefsten Schlafe lag, erwachte: Die Hunde bellten, die Esel schrien, Schweine grunzten, Pferde wieherten, Katzen miauten; und die Menschen schauten in ihren Schlafmützen aus den Fenstern und schimpften. - "Das ist ein schlechtes Vorzeichen!" rief Don Quixote, der recht wankelmütig geworden war. "Doch," fuhr er fort, indem er Sancho an dem Arm packte, "ich glaube dort im Dunkeln das aufragende Schloß meiner unvergleichlichen Gebieterin Dulcinea zu entdecken!" - "Aber, potzwetter!" rief Sancho ärgerlich, "das ist der Kirchturm, den Ihr sehet, gestrenger Herr! Eure Dulcinea wohnt hinter einem Lattenzaum in einem kleinen, niedrigen Häuschen, das in einer Sackgasse liegt." - "Einfältiger Pinsel!" schrie Don Quixote, "seit wann liegen Paläste hinter Lattenzäunen und in Sackgassen?" Nun suchten die beiden Helden die ganze Nacht; doch es gelang ihnen nicht, die Hofburg der edlen Dame zu finden. Als die ersten Sonnenstrahlen im Osten den Himmel erleuchteten, ritten Don Quixote und sein Knappe entmutigt aus Toboso hinaus über ein freies Feld. - "Ihr braucht nur Euren Kopf emporzuheben und gradeaus zu schauen, um das holdselige Antlitz Eurer Dulcinea zu sehen!" sprach Sancho Pansa, dem sein Herr aufrichtig leid tat, "dort kommt sie auf edlem Rosse mit zweien von ihren Hofdamen einhergetrabt, um Euch einen Morgengruß zu entbieten. Ach, wie edel und schön ist sie, Herr! Sie und ihre Jungfrauen glänzen von lauter Gold, von Juwelen, von Perlen und Brokat. Ihr lockiges Haar schimmert im Sonnenschein und flattert aufgelöst in den Winden!" - Bild 96. Don Quixote erblickt Dulcinea In Wirklichkeit waren es drei Bauerndirnen, die auf Mauleseln ritten und von früher Feldarbeit kamen. - "Was sagst du da?" rief Don Quixote von freudigem Schrecken überwältigt. "Hüte Dich wohl, Sancho, mich vorsätzlich zu täuschen und meine Traurigkeit in ein schnell dahinschwindendes Glück zu verwandeln!" - "Nun freilich!" erwiderte der Knappe keck. "Haben denn Euer Gnaden keine Augen im Kopfe, daß Ihr die schöne Prinzessin nicht seht?" Ohne die Antwort seines Herrn abzuwarten, war Sancho Pansa von seinem Esel gesprungen und ließ sich vor der vermeintlichen Dulcinea auf die Knie nieder und sagte: "Hohe und edle Prinzessin, Kaiserin der Schönheit und Huld, wollet gnädiglich geruhen, meinen Herrn, Euren getreuen Ritter und vielgereisten Helden Don Quixote von la Mancha, den Ritter von der traurigen Gestalt, zu empfangen!" Als das ziemlich einfältige und noch dazu häßliche Bauernmädchen mit platter Nase und breit geschlitztem Munde diese Komödie sah und obendrein noch des dürren Ritters in der verrosteten Rüstung ansichtig wurde, glaubte sie an einen schlimmen Maskenscherz, den sich der Teufel mit ihr erlaubte. Sie sprang von ihrem Esel und rannte mit ihren Gefährtinnen, die desgleichen getan hatten, wie von Furien gehetzt, über den Acker und alle schrien ein über das andere Mal: "Hilfe, Hilfe! der - Teufel!"


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