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Don Quixote XI. Des edlen Ritters Liebeskummer

Als sich der edle Ritter von la Mancha einigermaßen von der Wirkung der heftigen Steinwürfe erholt hatte, sprach er enttäuscht: "Diese Schurken von Gefangenen haben uns mit dem abscheulichsten Undank entgolten; wir wollen daraus eine Lehre ziehen." - " Vor allen Dingen besteigt Eure Rosinante und laßt uns fliehen; Ihr werdet nach dieser Untat bald die Soldaten des Königs auf den Fersen haben!" entgegnete ihm Sancho Pansa und drängte zum Aufbruch. - "Sancho, Du bist eine Memme!" erwiderte Don Quixote. Dennoch bestieg der Ritter seine Rosinante und machte sich, ohne zu säumen auf den Weg. Noch vor Nacht gelangte er mit seinem Knappen in die Sierra Morena, ein enges Felstal, von unfruchtbaren Steinwänden umgeben und schlug hier, von aller Welt abgeschlossen, sein Lager auf. Hier in diesen rauhen Bergen wurden in Don Quixotes Kopfe all die wunderbaren Taten und Abenteuer wieder wach, die er von fahrenden Rittern gelesen, welche in solchen Einöden und Wildnissen gekämpft hatten. - Bild 94. Amor trauert in der Sierra Morena "Sancho Pansa, ich wälze gewaltige Pläne in meinem Hirn! Ich werde Taten verrichten, die mich zu dem berühmtesten Ritter machen werden, den jemals die Erde getragen hat. Doch bevor ich meine neue Ruhmesfahrt antrete, will ich meiner unvergeßlichen Gebieterin, der Dulcinea von Toboso, einige Grüße überbringen lassen und ihr von meiner Liebe und Verehrung berichten. - Sancho Pansa! Mache Dich auf, sattle meine schnelle Rosinante, fliege zurück in unser Dorf und berichte meiner edlen Dame, daß ich, wie der schmachtende Amadis von Gallien, vor Sehnsucht in Raserei verfallen sei und gleich dem rasenden Roland mir meinen liebeglühenden Kopf an hartem Felsgestein zerschmettere." Don Quixote hatte mit so zitternder Stimme gesprochen, daß Sancho Pansa vor Rührung laut heulte, wie ein altes Weib. - "Zum Henker! Das ist ein unangenehmer Auftrag; ich weiß mit Weibsbildern nicht recht umzugehen." Doch auf das erneute, flehentliche Bitten seines Herrn saß er bald im Sattel der Rosinante, um als "Liebespostillon" davonzugaloppieren. Im Heimatdorf angekommen, traute sich Sancho mit seiner Botschaft nicht zu dem Bauern Lorenzo Corchuela, dessen Tochter es war, die Don Quixote zu seiner erhabenen und hohen Gebieterin "Dulcinea von Toboso" ernannt hatte. Er wußte, daß das hübsche und stramme Dirnchen sehr schlagfertig war, und vertraute sich daher seinem Nachbarn, einem Schneider, an, von dem er Rat erhoffte. Der Schneider, der ein schalkhafter Mensch war, erbot sich, Sancho Pansa in Frauenkleidern zu folgen, um den armen verblendeten Ritter aus seiner Felsenhöhle herauszulocken und ihn zu seinem Haus und Hof zurückzuführen, die dem Verfall nahe waren. Am übernächsten Tage schon erreichte Sancho Pansa mit dem verkleideten Schneider, der vor ihm im Sattel saß, das Steingefängnis des fahrenden Helden. Sie fanden ihn in Brüten und Sinnen verloren. - ,,O allergnädigster Ritter!" redete der Knappe seinen Herrn an, der beim Anblick des schönen Mädchens klirrend aufgesprungen war. Die flehende Prinzessin"Ich bringe Euch hier die Prinzessin und Erbin des Königreichs Mico-Micona, die Euch - im Vertrauen auf Euer Heldentum und Eure Tapferkeit - anfleht, Rache zu nehmen an einem Riesen, der sie schmählichst beleidigt hat." Don Quixote war gerührt von den Tränen des schönen Mädchens, das vor seinen Füßen lag und bitterlich schluchzte. - " Wo kann ich den Riesen finden, der dieser edlen Frau Schmach angetan hat?" brüllte der Ritter rot vor Zorn und griff nach seinem rostigen Schwert. - "Ja! Es gilt, eine Prinzessin und ein Königreich zu erobern!" rief Sancho Pansa laut, um das Schluchzen des Schneiders, das sich mehr und mehr in ein Kichern verwandelte, zu übertönen.


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