Sancho Pansas Schnappsack war also abhanden gekommen. Dem fahrenden
Helden und seinem Knappen wütete der Hunger in den Gebeinen. -
"Ich Unglücklicher!" murrte der dicke Sancho, "bei all den
Prügeln werde ich mich jetzt noch von den Wurzeln und
Kräutern des Feldes ernähren müssen." - "Was hat das zu
bedeuten im Vergleich zu meinen. mörderischen Schmerzen, die mir
meine zerquetschte Kinnlade und meine ausgebrochenen Zähne
verursachen", erwiderte ihm ungehalten Don Quixote. Sancho Pansa
steckte seinem Herrn nun einen Finger in den Mund, fühlte
bedächtig darin umher und fragte: "Wieviel Backenzähne habt
Ihr überhaupt noch gehabt, gestrenger Herrl" - "Vier, außer
dem Weisheitszahn." - "Herr," meinte Sancho Pansa, "überlegt wohl,
was Ihr sagt!" - "Viere sind's gewesen, wo nicht fünf?" beteuerte
Don Quixote von neuem. -
"Na, ich zähle nur noch zwei und einen halben Zahn; sonst ist
alles glatt wegrasiert", knurrte der Schildknappe und zeigte seine
eigenen Zähne. - "Ihr seid glücklich dran, Herr, Eure
Mühle hat keine Mahlsteine mehr; aber seht meine
Mühlensteine, die schreien nach Nahrung!" - "Ich schwöre Dir,
Sancho, bei meinen fehlenden Zähnen, daß ich Dir, bevor
Mitternacht angeht, eine lukullische Mahlzeit verschaffe!" Beide
schwangen sich auf ihre Tiere und trabten in neuer Hoffnung weiter. Die
Nacht war pechfinster geworden. Plötzlich sahen sie vor sich in
der Finsternis eine große Menge von Lichtern schimmern, die ihnen
wie Sterne entgegenkamen. Sancho Pansa wurde blaß, als er sie
erblickte. Der stolze Ritter aber ermannte sich, legte seine Lanze ein,
stürmte den unheimlichen Lichtern entgegen und schrie: "Ich
kämpfe auch gegen Geister und Gespenster!" Es waren eine Menge
Gestalten in weißen schleppenden Gewändern, trugen Fackeln
in den Händen und schienen totenhaft auszusehen. Hinter ihnen
trabte ein hochbepackter Esel. Mit unverständlichen Worten und
dumpfen Stimmen flohen die Gestalten, als der geharnischte Held
wütend in sie hineinritt. Nur eine weiße Gestalt war auf dem
Boden liegengeblieben.
Don
Quixote ergriff eine von den weggeworfenen Fackeln und legte dem
Gespenst die Spitze seiner Lanze auf die Brust. - "Ihr seid
augenblicklich des Todes, wenn Ihr mir nicht sagt, was für eine
Bewandtnis Eurem gespenstischen Aufzug zugrunde liegt?" - "O
alleredelster und gnädigster Herr", antwortete keuchend das
Gespenst, "wir gehören zu der Geheimsekte Salus et Quietas und
wollten zu unserem Mitternachtsschmaus, den wir jedes Jahr einmal im
Freien auf dem Berge Gumarilla abhalten." - "Hierher, Sancho Pansa,
hilf diesem entlarvten Gespenst auf die Beine!" Don Quixote schaute
sich nach seinem Knappen um. Der hatte den hochbepackten Esel
requiriert, der mit den besten Leckereien aus der gesamten Fauna und
Flora beladen war. Nun hielt sich der Schildknappe den Bauch und lachte
aus vollem Halse. - "Hatte ich Dir nicht ein lukullisches Mahl
versprochen? mein Freund, jetzt hast Du gut lachen!" - "Das ist es
gewiß nicht, mein edler Herr, warum ich lache. Seht, wie ich Euch
so beim Lichte der Fackel eine Weile betrachtete, da fiel mir auf,
daß Ihr wirklich die traurigste und jämmerlichste Gestalt
wäret, die ich mein Lebtag noch gesehen habe!" Da setzte Don
Quixote sich zerknirscht nieder und sprach mit wehmütigem
Kopfschütteln vor sich hin: "So bin ich also Don Quixote von la
Mancha, der Ritter von der traurigen Gestalt."