m Märchenlande Famagusta - dem Lande der seltsamsten Blumen und
Blütenwesen, dem Lande der sprechenden Vögel und Wunderdinge
mehr, die kein Sterblicher je gesehen noch gehört hat - erschienen
eines Tages zwei Eindringlinge aus der Menschenwelt.
Zwei toll aussehende Kerle, von Natur aus böse, Schlingel, von
Beruf aber Magier und Zauberer. Sie kamen in der Verkleidung harmloser
Botaniker mit grünen Insektentrommeln und Schmetterlingsnetzen.
Heimlich aber waren sie bewaffnet mit scharfen Instrumenten, mit
Mikroskopen und zusammenlegbaren Fernrohren. Dieses Eindringen war nur
möglich gewesen durch das glückliche Zusammentreffen einiger
Zufälle, welche die Schlingel in ihrer Eigenart als Zauberer
gerochen haben mochten. Der Wächter des Märchenlandes, ein
baumhoher Riese, hielt gerade seinen achttägigen Schlaf. Und der
Schöne Geist, der hier schaltete und waltete, war in die
Sternenwelt geflogen, um sich nach neuen Dingen umzusehen. Also konnten
die Magier ungestört auf die Suche gehen. Der eine der Beiden,
namens Leuwenhoek, hatte auf dem Jahrmarkt vor den Toren einer nicht
sehr entfernt gelegenen Kleinstadt einen Flohzirkus und der andere, der
Swammer hieß, betrieb alldorten eine Zauberbude.
Schon hatten sie mit ihren haarscharfen Mikroskopen etwas entdeckt, das
sie vor Freude wie Ziegenböcke tanzen ließ. im
Blütenstaub eines Tulpenkelches hatten sie eine Perle liegen
sehen, die in ihrem märchenhaften Glanz das Bildnis eines
schönen Mädchengesichtes widerspiegelte. Sofort fingen die
Magier an, mit ihren unheimlichen Kräften den Zauberbann zu
brechen, der auf der Perle lastete. Eine stachelige Distel, die hier im
Märchenlande Zeherit, der Distelprinz, genannt wurde, umwuchs
die Tulpe, stets bemüht, die Wunderperle zu beschützen. Der
Prinz stach nun verzweifelt um sich, und Leuwenhoek und Swammer heulten
oft vor Schmerz auf, daß es sich ausnahm wie das heisere Bellen
alter Hofhunde. Nach vielen Experimenten gelang aber doch den
Zauberern, was sie erhofft hatten. Bald sprang aus dem Tulpenkelch eine
zierliche Mädchengestalt von fast übernatürlichem
Liebreiz. Leuwenhoek faßte die Wundergestalt gleich mit seinen
groben Händen an, damit sie ihm nicht entschlüpfen
könne; der böse Swammer hätte ja auch gerne zugegriffen,
aber er fürchtete wohl, das kleine zarte Wesen, das nur schwache
Lebenszeichen von sich gab, könnte zerbrechen. Er verließ
sich auf seine Verschlagenheit und freute sich schon im Stillen darauf,
seinem Kollegen dieses Wunderwerk bald abzunehmen. Als die beiden
Zauberer, ohne es sich gegenseitig merken zu lassen, darüber
nachdachten, wie sie sich den alleinigen Besitz des elfenhaft
schönen Mädchens sichern könnten, hörten sie
plötzlich von irgend woher eine ganz feine und singende Stimme,
die von einem Wesen kommen mußte, das in großen Sätzen
über sie hinwegsprang.
Einmal
erklang die Stimme hinter ihnen, einmal hoch aus der Luft, dann von
rechts und schon wieder von links. - "O weh, o weh! was habt ihr
gemacht, ihr Bösewichter. Schlimmer Strafe werdet ihr nicht
entgehen, ihr habt die Tochter Alinore des mächtigen Königs
Sekatis, die der Schöne Geist in eine Perle verwandelte, um sie
der Last des Erdenlebens zu entheben, in ihre menschliche Gestalt
zurückgebracht. Wehe euch Bösewichtern!" Aber die beiden
hartgesottenen Magier lachten nur. Leuwenhoek hielt das kleine
Mädchen noch fester, indem er mit der anderen Hand sein Fernglas
zog, um zu sehen, wer da in so gewaltigen Sätzen herumsprang - es
mußte ein verzwickt kleines und dabei sehr sonderbares
Geschöpf sein. - "Richtig, da ist es!" rief Leuwenhoek, "es ist
ein riesiger Floh vom Umfange einer stattlichen Bohne. Der wäre
für meinen Zirkus wie geschaffen!"
Er richtete sein Glas so scharf auf das Insekt, daß dieses
betäubt mitten aus seinem großen Satz aus der Luft
herabfiel, dem Flohbändiger Leuwenhoek gerade auf die Nase. Von
der glatten blanken Nase rutschte der Floh ab und sprang noch ganz
benommen unglücklicherweise in die große Botanisiertrommel,
deren Deckel weit offenstand. - "Halt! den hätten wir!" rief
Leuwenhoek mit einem freudigen Grunzen und klappte schnell die Dose zu.
- "Dieses Prachtexemplar von einem Floh wird mir die Hauptattraktion
meiner Schaustellung werden!" -
Nun
wurde es für die
Magier Zeit, sich wieder um die zarte Alinore zu kümmern.
Leuwenhoek hatte sie während der Flohjagd etwas heftig
gedrückt, und das schöne Mädchen lag wie ein lebloses
Püppchen über seinem Arm. - "Hilfe ihrer Seel! sie stirbt mir
unter den Augen!" stieß der Flohbändiger enttäuscht
hervor. Beide Magier murmelten jetzt Zauberformeln und hauchten sie mit
ihrem warmen Atem an, in der Hoffnung, sie lebend nach Hause bringen zu
können, schob Leuwenhoek das Mädchen ganz vorsichtig in seine
Blechtrommel, die von zwei Seiten mit Fliegengittern versehen war, und
lief schnell davon, um seine Beute in Sicherheit zu bringen. Hinter ihm
her lief Swammer, der Gift und Galle spuckte, weil er dem Kollegen den
Besitz Alinorens mißgönnte. Als der Floh in der
Botanisiertrommel nun mit der kleinen Alinore, einem menschlichen
Wesen, allein war, wurde er sofort lebendig und interessierte sich
ausnehmend für ihren Zustand. Das arme Mädchen konnte weder
leben noch sterben und rang unter Seufzen mit dem Tode. Der Floh sah
ihre Schönheit und Anmut, wurde von heftigem Mitleid ergriffen und
entschloß sich, ihr zu helfen. - "Still, holdes Menschenkind! wir
werden gleich die Grenze des Märchenlandes Famagusta
überschreiten. - Bevor wir nicht die Grenze passiert haben, kann
ich Dir die nötige Lebenskraft nicht verleihen; erst dann
hört die Macht des Schönen Geistes auf und seine Rache kann
mich nicht mehr erreichen." - "Ich sterbe! ich sterbe!" hauchte
Alinore, wurde bleich bis in die Lippen und fiel in eine tiefe
Ohnmacht. Schnell versetzte der Floh dem unglücklichen
Mädchen einen Stich in die Schulter. Wie durch Zauber öffnete
Alinore die Augen, und über ihre Wangen huschte ein lebendes Rot.
Sie lächelte wie ein überglückliches Kind und rief in
einem fort: "Mein Herz schlägt! - ich lebe! Hab' tausend Dank,
Meister Floh!" - Bald aber sollte das schöne Mädchen. so
jäh aus seinen glücklichen Märchenträumen
herausgerissen, erfahren, daß es kein großes Glück
war, in die Menschenwelt versetzt zu sein.
Nach einigen Tagen schon stand sie auf den schwanken und ungehobelten
Brettern der Schaubude des Flohbändigers Leuwenhoek. Hinter ihr
wehte eine drohende Leinwand, die mit bunten Albernheiten und
Scheußlichkeiten bemalt war. Quiekende Orgeltöne, schlechte
Musik und schrille Glocken ertönten von allen Seiten und ergaben
ein ohrenbetäubendes Durcheinander. Dazwischen drängten die
Menschen und schrieen mit ihren groben Stimmen wie die Kuhtreiber.
Alinore befand sich im tollsten Jahrmarktrummel. Sehnsuchtsvoll dachte
sie zurück an das Land Famagusta; dachte an Zeherit, den edlen
Distelprinzen, der sie mit seinen ritterlichen Armen immerfort
umschlungen gehalten hatte, um sie vor Ungemach zu schützen. Es
erschien ihr jetzt wie ein verlorenes Paradies. Ihr einziger Trost war
Meister Floh, auf dessen unbedingte Hilfe sie rechnete. Er saß
neben ihr mit einem winzigen Kettchen festgebunden auf der langen Nase
einer riesigen Pappmaske und mußte gleich ihr die vorbeiziehenden
Leute in die Bude hineinlocken. Beide hatten ihr Liedchen zu singen.
Meister Floh machte gewöhnlich vorher einige Sprünge und sang
als erster:
Ich bin der Meister aller Flöhe,
Spring zwanzig Meter in die Höhe;
Kann kostbare Gewänder tragen
Und fahr in einem goldenen Wagen;
Kann reiten und kanonenschießen,
im Zweikampf mit dem Stachel spießen;
Kann am Trapez den Drehbaum machen,
Daß alle Menschen drüber lachen!
Man sieht mich hier, den Springinsfeld,
Für einen Kreuzer - wenig Geld!
Gleich darauf erklang die wunderfeine Stimme des schönen Mädchens, und alles horchte auf:
Ich bin das Prinzeßchen Aline,
Mit puppenhafter Miene.
Ich stamme aus dem Märchenland,
Das Famagusta ist genannt,
Wo verzauberte Menschen wohnen,
Verborgene Geister thronen,
Wo Vögel und Blumen sprechen,
Wo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !
Weiter kam sie nicht. Der böse Swammer, der gegenüber seine Zauberbude betrieb, mißgönnte dem Kollegen Leuwenhoek seinen Erfolg. Mit allen Mitteln war er darauf bedacht, ihm das Geschäft zu unterbinden. Jedesmal, wenn Meister Floh und Aline ihre Lieder sangen, nahm der Bösewicht sein mächtiges Sprachrohr und überschrie ihre feinen Stimmen. Dann stürzte der geschädigte Leuwenhoek wutschnaubend aus dem roten Samtvorhang seines Flohtheaters hervor. Die beiden finsteren Magier zückten ihre gefährlichen Waffen und - der Kampf der Teleskope begann. Mit riesigen Fernrohren gingen die ehemaligen Freunde und nunmehr erbitterten Feinde sich zu Leibe. - "Zieh, Verdammter, wenn Du Courage hast!" schrie Leuwenhoek. - "Nur heran, ich stehe Dir; bald sollst Du meine Macht fühlen!" rief Swammer seinerseits und zog sein Fernrohr auseinander. Beide setzten nun die scharfen Gläser an ihre Augen und fielen grimmig gegeneinander aus.
Mit mörderischen Augenblitzen nahm der Kampf seinen Verlauf;
jeder wehrte sich heftig, indem er seine Waffe bald verlängerte,
bald verkürzte, durch Aus- und Einschieben. Die Kämpfenden
hatten sich oft schwer getroffen, so daß sie auf ganz tolle Weise
vor Schmerzen hüpften und dazu mit Heulen und Schreien eine Musik
machten, die dem Wehgeheul der Verdammten in der Hölle zu gleichen
schien. - Bei einem solchen Kampfe sah Aline eines Tages in der
gaffenden Zuschauermenge einen jungen Mann mit wehendem Lockenhaar, der
sich bis an die Stufen der Bude herandrängte. Das Mädchen
traute seinen Augen nicht - es war kein Zweifel - so mußte
Zeherit, ihr Distelprinz, als Mensch aussehen.
Und er war es wirklich! Aus übergroßer Sehnsucht zu ihr, der
schönen Alinore, war er selbst Fleisch und Blut geworden, um in
der dunklen Atmosphäre der Menschenwelt sie auch für die
Zukunft beschützen zu können. "Zeherit!" rief das
Mädchen in freudiger Überraschung von seinem hohen Podium
herab. Doch der Jüngling legte den Finger auf seinen Mund und
reichte ihr mit fiebernder Hast ein zusammengefaltetes Stückchen
Papier, auf dem einige Worte gekritzelt standen. Mit "Pepusch" waren
diese Zeilen unterzeichnet. Aline las mit fliegendem Herzen. - "Oh,
Herr Pepusch...!" In diesem Augenblick rief die schwere Glocke des
Leuwenhoek sie und Meister Floh zur Vorstellung in das Zelt hinein.
Noch ganz verwirrt suchte die kleine Aline drinnen im Halbdunkel des
Theaters nach dem Meister. Dieser aber hockte weit von ihr entfernt und
grollte; er hatte ihren sehnsuchtsvollen und verliebten Blick gesehen,
den sie dem Herrn Pepusch zugeworfen. Meister Floh hatte seinen Stolz.
Er hatte sie gerettet - bedachte sie denn nicht, daß seine Stiche
auch fernerhin nötig waren, um ihr das Leben zu erhalten? Aufs
tiefste gekränkt, nahm er sich vor, das Mädchen zu verlassen.
Jetzt war draußen gerade ein großer Tumult; der Konkurrent
hatte wieder sein tönendes Sprachrohr auf Leuwenhoeks Zirkus
gerichtet. Swammer versuchte, die hereinströmenden Menschen
zurückzuhalten. Meister Floh erkannte die günstige
Gelegenheit. Er schwang sich mit einem entschlossenen Satz durch ein
Loch, das sich in der Zeltwand befand, hinaus ins Freie - Unversehens
kam er in den bunten Krimskrams der Nachbarbude, eines
Spielwaren-Bazars. Hier vor der Auslage stand unter vielen anderen der
ehrenwerte Herr Peregrinus Tys und machte seine
Weihnachtseinkäufe. Dieser Herr Peregrinus war ein Junggeselle;
doch war er es wider Willen und zwar nur aus übergroßer
Schüchternheit, die er in Gegenwart der holden Weiblichkeit nicht
überwinden konnte.
Er hatte eine Auswahl der allerschönsten Sachen getroffen, um in
recht großzügiger Weise den Kindern seines Nachbarn, des
Buchbinders Lämmerhirt, zu bescheren. Der Beweggrund seiner
Freigebigkeit war, ohne daß er es sich selber gestehen mochte, in
der heimlichen Zuneigung zu suchen, die er seit langem zu der
ältesten Tochter der kinderreichen Familie gefaßt hatte;
doch wagte er nicht, seinen Blick frei und offen zu dem schönen
und sanften Mädchen zu erheben. Peregrinus Tys, beide Arme voll
bepackt, wollte gerade nach dem letzten Stück seiner Auswahl
greifen - einer ovalen Schachtel mit einer wilden Schweinsjagd -, als
eine kleine Verwirrung entstand. Meister Floh kam gesprungen. Er hatte
bemerkt, daß Aline ihm in banger Sorge um ihr Leben gefolgt war.
Schnell sprang er in eine der herumstehenden Schachteln, um sich zu
verstecken. Doch schon war Aline zur Stelle, ergriff die Schachtel, in
der sie den Meister verborgen wähnte, und lief mit ihr davon.
Peregrinus, der seine Hand schon ausgestreckt hielt, stutzte einen
Moment, dann aber faßte er zu - nach der vermeintlichen
Schweinsjagd. - Im Hause angekommen, nahm ihm seine Haushälterin
die eingekauften Gegenstände ab. Pauline war eine dicke alte
Matrone mit einer kupferroten Nase, - sie war übrigens das einzige
weibliche Wesen, das der menschenscheue Sonderling und Stubenhocker um
sich duldete. Mag der Himmel wissen, wie diese häßliche
Person mit den triefenden Augen und dem struppigen Haar zu dem
berühmten Namen der Kaiserin von Golkonda gekommen war. - Es mag
gleich gesagt sein, daß an keinem Weihnachtsabend dem
Junggesellen, Herrn Peregrinus Tys, das Herz vor banger Erwartung so
heftig schlug, wie an diesem. Er hörte schon das feine
Silberglöcklein bei Lämmerhirtens und den lauten Jubel der
Kinderschar. Doch bevor er ging, sah er noch einmal die Geschenke
durch. Mißmutig stellte er fest, daß die wilde Schweinsjagd
abhanden gekommen war. Da gewahrte er eine noch ungeöffnete
Schachtel, und als er diese öffnete, war sie zu seinem Entsetzen
leer; aber es war ihm, als spränge etwas Lebendiges, das einem
großen bunten Floh nicht unähnlich war, ihm daraus entgegen,
das mit dem Blick ganz zu erfassen sein Auge zu stumpf war.
Hinter seinem Halstuch fühlte er jetzt ein eigenartiges
Kitzeln. Da nun einmal Weihnachten war, wollte sich Herr Peregrinus
keine weiteren Gedanken machen und schickte sich daher an, mit all den
herrlichen Gaben zu seinem Nachbarn zu gehen. Plötzlich aber stand
vor ihm eine sehr feine und zierlich gebaute Person, gekleidet und
geputzt, als käme sie eben von einem Ball, angetan mit einem
Zindelkleid und einem Diadem im schwarzen Haar. Der beängstigte
Junggeselle wollte sich schnell davon machen; die Erscheinung aber
faßte ihn an beiden Händen und lispelte mit lieblicher
Stimme: "Oh, Peregrin, teurer Peregrin, ich bringe Euch die
hölzerne Schachtel, welche die vermißte Schweinsjagd
enthält." Es war Alinore, die ihren Irrtum entdeckt hatte. Diese
Begebenheit und der Anblick des schönen Mädchens war für
die dicke Haushälterin Pauline, die noch im Zimmer stand, zu viel,
sie duldete keine zweite neben sich; sie verweigerte den Dienst,
kündigte und stürzte aus dem Zimmer. Als Alinore mit Herrn
Peregrinus Tys allein war, warf sie sich ihm vor die Füße:
"Teurer Freund, gebt mir den Gefangenen zurück, bedenkt, daß
mein ganzes Schicksal von seinem Besitz abhängt!" Peregrinus
wußte nicht, daß sie mit dem Gefangenen das ungewisse Etwas
meinte, das der leeren Schachtel entsprungen war. Er glaubte, es ginge
ihm ein Mühlrad im Kopfe herum. In seinen Ohren lag ein Schluchzen
und Weinen.
Als er aus seinem Taumel erwachte, sah
er die schöne
Alinore, die totenbleich und regungslos vor ihm lag - "Seid auf Eurer
Hut, edler Mann, seid auf Eurer Hut!" So lispelte es dicht vor
Peregrinus' Nase.
Ein kaum spannlanges Ungeheuer saß auf seiner seidenen Kravatte.
In dem Vogelkopf staken ein Paar runde, glänzende Augen und aus
dem Sperlingsschnabel starrte ein langes spitzes Ding hervor,
darüber aber streckten sich zwei Hörner aus der Stirne. An
den Füßen trug das kuriose Wesen goldene Stiefel mit
diamantenen Sporen. - "Zwar kennt ihr mich nicht, edler Herr
Peregrinus; doch laßt mich gewähren! Ich bin der Meister
Floh. Gestattet, daß ich Euch in die linke Pupille ein feines
Mikroskop einsetze, das ein geschickter Optiker aus meinem Volke
verfertigte. Ihr werdet gleich sehen, welche Übermacht das
Mikroskop Euch über die Menschen gibt, in dem Euch ihre innersten
Gedanken offen vor Augen liegen. Tragt es aber nicht immer, es
würde Euch sonst die stete Erkenntnis der Gedanken Eurer
Mitmenschen zu Boden drücken!" Fast hätte Peregrinus Tys das
schöne Mädchen vergessen, das leblos zu seinen
Füßen lag; so sehr war er im Banne dieses zauberhaften
Insektes. - "Weh mir, ich sterbe!" stammelte jetzt Alinore mit
schneeweißen Lippen. - "Gib - den - Gefangenen! - ich sterbe!"
Augenblicklich ließ sich ein durchdringender, doch harmonischer
Laut hören, als würden kleine goldene Glöckchen
angeschlagen. Alinore, plötzlich frischen Rosenschimmer auf Lippen
und Wangen, sprang auf und hüpfte lachend im Zimmer umher. Der
mitleidige Meister Floh hatte ihr einen Stich versetzt. Herr Peregrinus
Tys stand starr vor Staunen; jedoch die Ereignisse der Stunde hatten
ihr Ende noch nicht gefunden.
Die Tür sprang auf - Leuwenhoek und Swammer stürzten herein;
die beiden Schurken hatten sich wieder vereinigt und wollten mit
gemeinsamer Kraft die beiden Entflohenen zurückholen. Peregrinus
Tys erkannte sofort mittels der Kraft des Mikroskopes die schwarzen
Gedanken dieser Bösewichter. Noch eine dritte Person erschien -
Herr Pepusch war zur Stelle, um Alinore zu beschützen. Jetzt
wurden dem Junggesellen Peregrinus durch das Wunderwerk des Meister
Floh, das er im Auge trug, die Zusammenhänge dieser
geheimnisvollen Geschehnisse immer klarer. Zum Erstaunen aller
Anwesenden drang jetzt ein milchiger Lichtstreif durchs Fenster, der
sich spiralförmig um den Kronleuchter drehte.
Der Schöne Geist aus dem Märchenlande Famagusta war noch
in letzter Minute angelangt, um den beiden Magiern seine früheren
Errungenschaften, die diese ihm gestohlen hatten, streitig zu machen.
Als er sichtbare Gestalt angenommen hatte, stürzten sich die
beiden Zauberer Swammer und Leuwenhoek mit einem wahren Wutgeheul auf
den Geist, ergriffen zwei Stühle und droschen so lange auf ihn
los, bis sich die milchige Substanz seines Körpers nach allen
Ecken hin auflöste. - Nun erst war der Zauberbann, der auf der
schönen Alinore und Herrn Pepusch lastete, gebrochen; auch die
beiden Magier hatten keine Gewalt mehr über sie. Alinore fiel
Herrn Pepusch an die Brust; beide waren glücklich, jetzt hatten
sie Lebenskraft für ein ganzes Menschendasein. Wie zwei
geprügelte Hunde zogen Swammer und Leuwenhoek davon. - Die Luft
war rein. Meister Floh rührte sich: er flüsterte dem
Junggesellen Peregrinus Tys, der allein zurückgeblieben war, ins
Ohr: "Jetzt kommt die große Entscheidung für Euch, Herr
Peregrinus. Nehmt Eure Geschenke! Wir wollen zu Eurem Nachbarn
hinüber. Ich will Euch verraten, daß das schöne
Röschen Lämmerhirt auch Euch ihrerseits schon lange erwartet.
Seid nicht so schüchtern, Herr Peregrinus, gebt dem
erwartungsvollen Kind die Hand und sagt ihm, daß Ihr bereit
seid!" -
Ein Jahr glücklicher Ehe war verflossen. Man kannte den einstigen
Junggesellen Peregrinus nicht wieder; er war ein brauchbarer Ehemann
geworden. Er saß an der Wiege und schaukelte seinen
Erstgeborenen. - "Ich hätte Dich niemals kennengelernt, mein Sohn,
wenn Meister Floh nicht gewesen wäre."
Der wackere Papa erzählte seinem schlafenden Söhnchen die
ganze Flohiade von Anfang bis zu Ende. - Peregrinus horchte
plötzlich auf. Draußen in der Küche gab es Geschrei.
Meister Floh hatte seiner alten Haushälterin, der dicken Pauline,
weil sie aus Unachtsamkeit die Milch für den Kleinen hatte
überkochen lassen, heftig in die kupferrote Nase gestochen. Auch
Röschen, die schöne junge Frau, kam jetzt zu dem freudigen
Vater an die Wiege, und beide lachten über diesen Scherz
vergnüglich. Aber auch schon hörten sie die silberfeine
Stimme des Meister Floh: "Herr und Frau Peregrinus Tys, ergebenster
Diener! Habe die Ehre, zu verkünden, daß meine Mission
erfüllt ist! Schließlich, man bedenke, daß ich ein
Floh bin. Entschuldigt! Man erwartet mich wo anders. Sollten Seiner
Gnaden, der junge Herr Tys, einmal nicht recht gedeihen wollen, so
werde ich sofort wieder zur Stelle sein und mit einigen Stichen
nachhelfen!" Nach dieser Versicherung machte das menschenfreundliche
Insekt einige riesige Sprünge: "Auf Wiedersehen! Ich springe
zurück zu meinen Springinsfelden, zu dem Volk der Flöhe,
dessen Meister ich bin!"