Als Sindbad der Seefahrer sah, daß seine Erzählung einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte und seine Zuhörer noch immer munter und voller neuer Erwartung da saßen, fuhr er ohne Unterbrechung fort:
"Merket auf, meine edlen Herren, und höret die Geschichte meiner
fünften Reise, welche noch wunderbarer ist, als die früheren.
Doch Gott ist allwissend und allweise und kennt allein seinen
verborgenen Ratschluß. Als ich nun, wie ich Euch erzählte,
mit reichem Gewinne heimgekehrt war, verteilte ich mit dankbarem Herzen
Almosen und Spenden, kleidete Waisen und Witwen und machte meinen
Angehörigen und Freunden Geschenke. Unversehens aber riß
mich eine lockende Gelegenheit wieder aus meinen festen
Entschlüssen, nämlich meinem abenteuerlichen Leben zu
entsagen und meine Sehnsucht nach der großen Welt und dem weiten
Meere zu unterdrücken. Ein großes Schiff sah ich viele
Kaufleute, brave und gute Menschen, besteigen, alle in freudigster
Hoffnung auf glückliche Fahrt und guten Gewinn. Des Menschen Seele
neigt zum Bösen; auch ich vergaß, wie gesagt, meine guten
Vorsätze. und schiffte mich ein. Ununterbrochen segelten wir, bis
sich eines Tags der Kapitän vor das Gesicht schlug und sich
verzweifelt gebärdete. Wir fragten ihn: "Kapitän was ist
los?" Er antwortete uns mit bebenden Lippen: "Wisset,
ihr Reisenden,
ein heimtückischer Wind hat mich irregeführt und uns mitten
in ein Meer getrieben, das mir unbekannt ist und das ich nur vom
Hörensagen kenne. Es muß jemand an Bord unseres Schiffes
sein, der zu unser aller Unheil dem Seeteufel verfallen ist. Dieser
unnatürliche Wind treibt uns mit aller Wucht gegen den Affenberg,
der dort aus der Brandung emporragt.
Der Allmächtige möge geben, daß eine Rettung
möglich ist!" - Kaum hatte der Kapitän seine Worte beendet,
da umgaben auch schon die Affen von allen Seiten das Schiff und fielen
vom Lande wie Heuschreckenschwärme über uns her, packten alle
Kaufleute und Matrosen und schleppten sie auf die Insel, worauf sie
ohne uns auf das Schiff zurücksprangen und mit allem, was sich
darauf befand, abfuhren. Als wir uns nun in einem unbekannten Meere auf
dieser schrecklichen Insel allein befanden und schon mit dem Gedanken
vertraut gemacht hatten, von ihren Früchten, ihrem Gemüse und
Obst uns ernähren zu müssen, erblickten wir mit einem Male
einen riesigen Drachen mit gewaltigem Rumpf, der meine Gefährten
und mich umringelte. Im Nu hatte er einen von uns gepackt und mit
furchtbarem Schmatzen gänzlich verschluckt, dann war er befriedigt
fortgekrochen. Jeden Tag nun holte sich der Drachen einen von uns. Er
war sichtlich angenehm enttäuscht, statt der ewigen Affen jetzt
Menschenbraten zu bekommen. Unser Herz aber war von dem Verlust unserer
Gefährten bekümmert und erstarrte in dem Gedanken, selbst
eines Tages den Tod in dem feuerspeienden Rachen dieses
gräßlichen Untiers erleiden zu müssen. Doch es gibt
keine Macht und keine Kraft außer bei Gott! Ich sann
unaufhörlich darüber nach, wie ich diesem furchtbaren Ende,
das uns allen beschieden war, entrinnen könnte. Die restlichen
drei Kaufleute, mit denen ich auf einen hohen Baum geklettert war, der
uns auch als Schlafstätte diente, hatte ich weit unter mir
gelassen und war bis auf den höchsten Ast gestiegen. Meine
Hoffnung, der Drache würde sich die untersten zuerst holen, hatte
sich bestätigt. Als er meine letzten Gefährten erreicht und
verschlungen hatte, war ein Entschluß in mir gereift.
Ich nahm fünf breite und starke Äste und band, so fest ich
nur konnte, einen von ihnen quer über meine Füße, drei
andere gleiche über meine linke und rechte Seite und meinen Bauch
und zuletzt einen langen und breiten Ast wieder quer über meinen
Kopf, ähnlich dem ersten an meinen Füßen. In dieser
Weise rings von Holz umgeben, warf ich mich der Länge nach auf die
Erde und lag wie in einer Kammer da. Wie gewöhnlich erschien der
Drache zur Nachtzeit, um sich sein letztes Opfer zu holen. Da er mich
jedoch wegen des Holzes, das mich von allen Selten umgab, nicht
verschlingen konnte, ringelte er sich um mich, während ich ihm
halbtot vor Furcht und Grausen zusah. Als der grausige Lindwurm nun
einsah, daß er mich in meiner hölzernen Schutzwehr nicht
verschlingen konnte, ließ er von mir ab und zog sich in
grimmigster Wut zurück. Seine Versuche, mich zu verspeisen, hatten
vom Sonnenuntergang bis zum Anbruch der Morgenröte gedauert. Nun
erhob ich mich und zog wie einer, der von den Toten erwacht ist, an den
Strand, wo ich fern auf hoher See ein Schiff gewahrte. Mit einem
riesigen Ast, den ich hin und her schwenkte, machte ich mich bemerkbar.
Man entdeckte mich und nahm mich auf.
Auf die Fragen des Kapitäns und der Mannschaft erzählte ich
ihnen zu ihrer höchsten Verwunderung alle meine Erlebnisse und
Abenteuer, was sie veranlaßte, mich mit neuen Sachen zu bekleiden
und meine Füße zu bedecken; dann brachten sie mir Speise und
reichten mir kühles Süßwasser zu trinken, so daß
sich mein Herz wieder aufrichtete, meine Seele sich erholte und tiefe
Ruhe in mir einkehrte. -
An der Insel Es-Salahita wurde Anker geworfen. Hier stiegen alle
Kaufleute und Passagiere ans Land, nahmen ihre Waren mit, tauschten und
verkauften. Ich stand mit dem Schiffsherrn an Deck und mußte
diesem Treiben als mittelloser Schiffbrüchiger tatenlos zuschauen.
Das brach mir das Herz. Der Kapitän sah mir meine innere Qual an
und sprach zu mir: "Wisset, verehrter Fremdling, mit uns reiste ein
Mann, den wir verloren haben; wir wissen nicht, ob er noch lebt oder
bereits ertrunken ist, da wir nie wieder etwas von ihm gehört
haben. Der ganze Laderaum unseres Schiffes liegt voll von seiner
reichen Ware, die jetzt herrenlos ist. Ich möchte euch von diesem
Überfluß einige Ballen übergeben, mit denen ihr euer
Glück versuchen könnt." - Als ich den Laderaum betrat, sah
ich, daß sämtliche Ware mein einst verlorenes Eigentum war
und auch jedes Stück das Signum "Sindbad der Seefahrer" trug. -
Alles weitere erübrigt sich zu erzählen. In Bagdad, meine
edlen Herren, konnte ich mich ausweisen. Nun war mein Reichtum nicht
mehr zu ermessen." - Als Sindbad seinen armen Namensvetter, den
Lastträger, mit offenem Munde zuhören sah, winkte er schnell
seinem Sklaven und ließ jenem wiedermals hundert Goldmithkal als
Spende überreichen.