ls Sindbad, der Seefahrer, die Erzählung seiner ersten Reise beendet hatte, befahl er dem Sklaven, seinen Zuhörern neue Speisen und Getränke vorzusetzen. Als er nun merkte, daß alles in heller Lust und Freude war, erhob der Seefahrer von neuem seine Stimme und begann mit der Erzählung seiner zweiten Reise:
"Wisset, meine edlen Herren, daß ich nun ein Leben in Zurückgezogenheit und Andacht führte und nur mit Schrecken an die Abenteuer meiner ersten Fahrt zurückdachte. So ging es eine Zeit, - bis es mich eines Tages wieder packte. Ich verließ mein Haus; meine Seele, die von Sehnsucht erfüllt war, zog mich wieder hinaus auf das Wasser. Mit einer Anzahl Kaufleuten fuhr ich fort, um, wie ich mich selbst zu täuschen versuchte, Tauschhandel in aller Welt zu betreiben; in Wirklichkeit aber war es das Meer, das mich lockte. So segelten wir eine Zeitlang, bis wir an eine hübsche Insel gelangten, aus deren dunklem Laubbestand Früchte in scharlachner Reife schillerten, Blumen dufteten, Vögel in süßen Weisen sangen und der Bäche Spiegel flimmerten. Wir gingen alle Mann an Land. Wohl war ich in Erinnerung der Insel meiner ersten Fahrt vorsichtig geworden; ich prüfte die Erde auf das genaueste, damit mir ein ähnliches Schicksal nicht widerfahren konnte. Dieses Mal war es ein wirkliches Land. Doch bei meinem Studiengang durch die Insel hatten mich die anderen Passagiere aus den Augen verloren. Als ich mir der neuen Gefahr kaum bewußt wurde, war das Unglück auch schon geschehen. Mein Kapitän war in dem Glauben davongefahren, ich sei in meiner Kajüte. So war ich wieder dem Seeteufel, der mich auf einsamer Insel in seinem unermeßlichen Reiche gefangen hatte, auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Ich bereute bitterlich, daß ich Bagdad verlassen hatte, wieder auf das Meer hinausgefahren war und mich neuern Verderben in die Arme gestürzt hatte. Von einem hohen Baume aus hielt ich nach rechts und links Ausschau. Als ich schärfer ausspähte, bemerkte ich einen großen weißen Gegenstand in der Ferne; ich verließ den Gipfel des Baumes und ging auf das leuchtende Etwas zu, bis ich es erreicht hatte. Und siehe da, es war eine große hoch in die Luft ragende weiße Kuppel von mächtigem Umfang. Als ich mir noch den Kopf zerbrach, was es mit diesem gewaltigen Bau für eine Bewandtnis haben könnte, an dem ich keinen Eingang zu entdecken vermochte, ging der Tag bereits zur Neige und die Sonne näherte sich ihrem Untergang.
Plötzlich verfinsterten sich die letzten Sonnenstrahlen und verhüllten sich vor meinen Augen. Zuerst glaubte ich, es sei eine Wolke; doch als ich meine Blicke zum Himmel erhob, sah ich einen riesigen Vogel von gewaltigem Leibesumfang und weit klafternden Schwingen. Jetzt erinnerte ich mich, daß auf einer einsamen Insel ein riesiger Vogel, der Roch geheißen, lebte, der seine Jungen mit Elefantenbabies groß füttern sollte. Nun wurde mir klar, was diese gewaltige Kuppel darstellte - es war ein Ei dieses Riesenvogels. Bald nach dieser Feststellung ließ sich der Vogel auch schon auf die Kuppel nieder, breitete seine Schwingen zum Brüten darüber und schlief auf ihr ein, indem er seine Füße nach hinten auf die Erde streckte. Als ich dies gewahrte, löste ich den Turban von meinem Haupte, faltete ihn zusammen und drehte ihn, bis er einem Stricke glich; dann gürtete ich ihn mir mitten um den Leib und band mich fest an die Krallen des Vogels. - "Vielleicht wird er mich in ein Land mit Städten und Bewohnern tragen, was besser sein wird, als hier auf dieser Insel einsam gefangen zu sitzen." Ich hatte richtig gedacht. Als das Frührot aufstieg, erhob sich der Vogel mit einem gewaltigen Schrei von dem Ei und stieg mit mir so hoch in die Luft empor, daß ich schon glaubte, er hätte die Wolken am Himmel erreicht; alsdann ließ er sich langsam mit mir zum Wasser nieder, bis er sich dann schließlich auf die Spitze eines hohen Berges setzte, der aus schäumender Brandung emporragte. Sobald ich den Boden erreicht hatte, löste ich schnell, vor Angst zitternd, wiewohl der Vogel nichts von mir merkte, meinen Turban von seinen Füßen und machte mich aus dem Staube. Der Vogel aber packte nun etwas von der Erde mit seinen Klauen und stieg wieder zu den Wolken des Himmels empor; als ich den Gegenstand ins Auge faßte, sah ich, daß es eine Schlange von ungeheurer Länge war. Verwundert hierüber schritt ich weiter und gewahrte, daß ich mich am Eingang einer Schlucht befand, deren Talboden von riesigen Haufen faustgroßer Diamanten übersät war. Es glitzerte derartigt, daß meine Augen schmerzten. Darum schlich ich mich mit geschlossenen Augen hinein und griff so viel von dem funkelnden Edelgestein als meine Taschen tragen konnten. Jetzt erst bemerkte ich, daß es um mich herum raschelte und zischte; ich riß meine Augen auf und sah mit Entsetzen, daß der ganze Talgrund von Schlangen und Vipern wimmelte, von denen jede einzelne so lang war wie ein Palmenbaum. Wie durch ein Wunder entkam ich diesen gräßlichen Ungeheuern. Nun wußte ich, woher der Vogel Roch seine Nahrung holte. Als ich, glücklich dem Tod entronnen, wieder in freier Luft auf des Berges Gipfel stand, sah ich mit freudiger Genugtuung, daß sich eine Fregatte dem Eiland näherte. Es waren Kauffahrer, vielmehr Glücksritter, die in ihrem Äußeren nicht gerade sehr vertrauenerweckend aussahen. Sie hatten von dem Schatz dieser Insel gehört und wollten sich nach ihren Aussagen auf die Suche begeben. Da ich den Undank und die Habgier der Menschen kenne, verheimlichte ich ihnen meinen Fund und beteuerte, dass ich seit einem Monat mit Aufwand aller Energie und Findigkeit am Werke sei, diesen vermeintlichen Schatz aufzuspüren; alles sei nur ein albernes Ammenmärchen. Sie schenkten mir Glauben, fuhren von dannen und brachten mich in meine Heimat zurück. Die Beute aber, die ich dem Seeteufel, der mich wieder mal leimen wolltet abgerungen hatte, betrug das Hundertfache meiner gesamten Habe."