In der Zeit des Kalifen Harun-al-Raschid, des Beherrschers der Gläubigen, lebten in der Stadt Bagdad zwei Leute, die den gleichen Namen trugen. Beide hießen "Sindbad". Der eine war ein Lastträger, der in seiner ärmlichen Lage Lasten für Lohn, auf seinem Kopfe, tragen mußte. Der andere aber war ein reicher und angesehener Kaufmann, der einen herrlichen Palast, wunderbare Güter und Gärten besaß. Während der Arme oft nicht einmal das Wenige verdiente, das er zum Lebensunterhalte nötig hatte, lebte der Reiche in Saus und Braus und warf das Geld mit vollen Händen hinaus. -
Nun geschahes eines Tages, daß der
arme Sindbad mit einer
schweren Last am Hause seines Namensvetters, den der Volksmund "Sindbad
den Seefahrer" nannte, vorüberkam.
Da er sehr müde und erschöpft war, legte er seine Last ein
wenig auf die schattigen Stufen des Palastes nieder, trocknete sich den
Schweiß von der Stirn und atmete mit Entzücken die
kühle Luft, die ihm aus der Halle entgegenwehte. Da begann der
Packträger über die ungleiche Verteilung der menschlichen
Güter nachzudenken und sagte laut vor sich hin: "Oh, welch ein
Unterschied ist doch zwischen Sindbad und Sindbad! Der eine ruht auf
weichem Pfühle, der andere auf hartem Stein. Warum ist dies so?"
Der Packträger wollte, nachdem er so seinen Gefühlen Luft
gemacht hatte, weitergehen; da trat ein Diener aus dem Hause und lud
ihn ein, zu seinem Herrn zu kommen, der ihn zu sprechen wünsche.
Nicht wenig betroffen folgte der Träger dem Sklaven. Er wurde in
die Gesellschaft einiger vornehmer Herren geführt, die inmitten
unschätzbaren Reichtums versammelt waren.
Den Ehrenplatz nahm ein stattlicher Greis
ein, vor dem sich jetzt der
Packträger ehrerbietig verneigte. Jener aber, welcher der reiche
Sindbad in eigener Person war, ließ ihm köstliche Speisen
vorsetzen. "Du beklagtest dich vorhin, lieber Freund," begann der
Hausherr nach einiger Zeit, "daß dich das Schicksal statt mit
Gütern nur mit Arbeit gesegnet hat! Deine Klage erinnert mich an
viel Trübsal und Not, die ich selbst erdulden mußte, ehe ich
zu meinem jetzigen Wohlstand gelangte. Viele Reisen habe ich machen
müssen, und wenn es Euch, meine edlen Herren, angenehm ist, so
will ich einiges davon erzählen; auch Du, mein werter
Namensvetter, sollst zuhören."
Alle gaben ihrer Freude Ausdruck, und Sindbad der Seefahrer begann mit den Abenteuern seiner ersten Reise.