Justizrat Knap, Bürger des 19. Jahrhunderts, hat beim Punsch für die gute alte Zeit geschwärmt und sich dorthin zurückgewünscht. Mit den Galoschen des Glücks an den Füßen geht dieser Wunsch augenblicklich in Erfüllung. Der Rat schiebt es aufs Getränk, als er knöcheltief im Morast ungepflasterter Straßen watend nicht mehr nach Hause findet.
Elendsmalerei einmal anders, weder mitleidig, noch sozialkritisch. Dass das Hinfällige, Baufällige zurecht als hochgradig komisch empfunden und mit sardonischem Gelächter quittiert wird, steht für den Karikaturisten außer Frage. Hingebungsvoll schildert Stefan Mart hier den ungehemmten Zerfall in Gestalt einer nächtlichen Gasse, vom grünlich phosphorezierenden Schein der eigenen Fäulnis matt erhellt. Das gelbe Licht der blakenden Straßenlaterne kommt dagegen nicht auf, bleibt im engsten Umkreis gefangen. Unter einem gullyfarbenen Himmel, zwischen Pfützen, Fischgräten und Abwassergüssen bewegt sich mühselig der Andersensche Justizrat mit Frack und Zylinder, halb noch spitzwegische Figur, halb schon moderner Toon.
Elendsviertel, vor allem nächtliche, sind im 19. Jahrhundert beliebtes Sujet für Illustrationen, sozialkritische wie schauerromantische - manche gehören beiden Gattungen zugleich an. Die Hölle war schon immer interessant fürs Auge, und gegen Ende des Jahrhunderts sind es gerade die infernalischen Züge der modernen Großstadt, die der kubistisch-konstruktiven Phantasie der Künstler Nahrung bieten. So erreicht die Dämonisierung der Stadt im frühen 20. Jahrhundert einen Höhepunkt, erst in der Malerei des deutschen Expressionismus, dann im Stummfilm.
Was hat das aber mit den Galoschen des Glücks zu tun? Andersens Seitenhieb gegen romantische Verklärung zielt doch auf die gute alte Zeit, das späte Mittelalter. - Nun, gerade deswegen bereitet die Vorlage dem Illustrator Kopfzerbrechen. Wie soll er finsteres, verkommenes Mittelalter zeigen, wo alle Versatzstücke mittelalterlicher Architektur, Fachwerk, Butzenscheiben, Spitzbögen, positiv besetzt sind? Dreihundert Jahre schon wird die Ruine in der Kunst gefeiert, je zerfallener ein Gemäuer, desto schöner!
Stefan Mart findet die Lösung. Er deutet das mittelalterliche Stadtbild nur knapp an - der Stufengiebel eines einzigen Hauses und ein bißchen Fachwerk, mehr ist davon nicht zu sehen. Im Übrigen greift er auf Versatzstücke expressionistischer Stadt-Darstellungen zurück, montiert und zitiert sie. Heimlich macht sich sogar ein wenig über sie lustig. Aber das ändert nichts daran, dass er ohne die packenden Stadtbilder eines Ludwig Meidner und die kubistischen Architekturschilderungen eines Lyonel Feininger (Bildtafel) im Hinterkopf seine nächtliche Gasse nicht hätte entwerfen können. Dergleichen sieht, malt und zeichnet sich nicht "aus dem Stand".
Der prophetische Ernst und das Pathos der expressionistischen Vorbilder geht natürlich verloren, weicht der Burleske. Bei Ludwig Meidner stehen die bucklig-bauchigen Verzerrungen von Hauswänden und Dächern, die Brechungen gerader Fluchtlinien, das Windschiefe von Fassaden und Häuserzeilen metaphorisch für die aus den Fugen geratene Zeit, die metaphysische Baufälligkeit der modernen Welt. Der Karikaturist dagegen sieht und zeichnet Bruchbuden ohne tiefere Bedeutung. Aber das Unheimliche der expressionistischen Stadtkulissen, ihre Weltuntergangsstimmung, kann er für sein Bild gut gebrauchen. Es passt zu einem melancholischen Märchen, welches vom Absturz in andere Zeiten, vom Sprung in andere Seinsweisen handelt, Dingen also, die die Menschen tief beunruhigen - sehr zur Überraschung der jugendlich naïven Göttin Fortuna.