Willem und Meisje Antje liebten sich.
Willem war ein netter Junge:
Blonde Locken in der Stirn, blaue Augen, Kalkpfeifchen, weite Hosen und
Holzpantinen. Antje: Ein nettes Meisje mit spitzem Mündchen und
weißer Haube. Willem hatte einen großen Holländer-Kahn
mit Küchenlogge und Schlafkoje. Antje aber
hatte eine Mühle.
Es war ein fröhliches Bild, wenn der lange Kahn in der Gracht vor
der Mühle lag und der Junge mit dem Mädel lachte und
schäkerte. Fuhr Willem auf Tage fort über den weiten See, um
Obst und Gemüse einzuhandeln, gab es immer Abschiedstränen.
Antje war stets beunruhigt und vergaß nie, ihrem Willem zu sagen:
"Hab unterwegs acht und paß auf das Licht am Steuer, damit ich es
in der dunklen Nacht leuchten sehe!" - Kam er zurück, fiel ihr
jedesmal ein großer Stein vom Herzen und auch ihre Mühle
klapperte freudiger. Aber je häufiger er fortfuhr, desto heftiger
wurde ihr Angstgefühl. Oft saß sie unentwegt am Ausguck
ihrer Mühle, hoch oben unter dem Drehbaum, lugte auf den See und
suchte das Licht in der Nacht, - ihres Willems Laterne. Als die
Tulpenfelder in bunten Farben blühten, brachte Antje einen
großen Strauß auf den Kahn und sagte: "Dieses Mal
mußt du hier bleiben, Willem; ich hab eine große
Herzensangst. Im Traum hat eine grüne Nixe, eine Wasserfei dein
Licht am Steuer ausgeblasen und dich umarmt und gekost!" Willem lachte
sie tüchtig aus: "I wo, Antje!" und streichelte ihr die
Wangen. Er holte das Segel hoch und fuhr trotz der Warnung davon. Auf
dem Wasser war es etwas diesig geworden; draußen hinter den
Sandbänken wurde die Luft aber noch undurchsichtiger.
Willem
nahm seine
Laterne und schwenkte einen Abschiedsgruß. Als das Ufer ganz
außer Sicht war, betrachtete Willem ringsum den Nebel, nahm den
Tulpenstrauß und sprach: "Antje! Das ist noch lange keine
Wasserfei, das ist eine ganz gewöhnliche Nebelfee. - Schlaf wohl,
Antje!"
Der Nebel war dicht geworden wie ein Tuch. Grüne Punkte leuchteten in der feuchten Luft auf, fielen auf die Holzluken des Kahnes und tanzten wie kleine Flämmchen - Irrwische, die der helle Nebel aus dem dunklen Wasser zog. Willem drückte seine Tulpen fest an sich; er schloß die Augen; sie schmerzten ihm vom Geflimmer der tanzenden, kreisenden Punkte. - Da hörte er ein fernes Singen, das klang wie fernes Wellenrauschen. Es war das Singen der Meerminne:
Hohö, hohö, der Schatz vom See,
Der güldene Schatz ist dein!
Willem lauschte angestrengt. Was hatte es doch für eine Bewandtnis mit diesem güldenen Schatz? War es der Schatz des Meeres, von dem ihm sein alter Ohm Pieter, als er noch Kind war, oft erzählt hatte? Ja, der alte Ohm hatte oft von einem güldenen Schatz erzählt; es mußte derselbe sein, von dem die Meerminne sang. Willem stand noch immer mit festgeschlossenen Augen; er fühlte wie der schwere Nebel auf seine Lider drückte. - Jetzt erinnerte er sich genau der Einzelheiten der Geschichte. Wenn Ohm Pieter mit seinem Vater vom Fischfang zurück war, frühzeitig von den ziehenden Nebeln heimgetrieben, dann brachte er seine lange Tonpfeife in Brand, setzte sich vor das steinerne Haardvuur der Diele, auf dem die Flammen züngelten, nahm ihn, den kleinen Willem, auf den Schoß und erzählte. Willem hörte in seiner Versunkenheit wieder den alten Ohm sprechen:
"In einer nebligen Nacht zog auf Geheiß des Schwedenkönigs Karls XII., der zwar ein schrecklicher Despot war, doch der weiseste aller nordischen Herrscher, der Seeräuber Jan Bröeuk mit seiner Piratenflotte heimlich gegen die niederländische Küste. Eingangs des Zuidersees am Helda lagen in der Seefeste Van die aufgestapelten Kronschätze Schwedens, die einst von den Niederländern geraubt worden waren. Nach erbittertem Kampf zog sich Jan Bröeuk in den Nebel zurück. Er hatte den Schatz auf seinem Schiffe. Aber der schwere Schatz konnte die von Kugeln durchlöcherte und zersplitterte Kokke auf den Grund des Meeres ziehen. Angelockt von dem Glanz, von der leuchtenden Pracht kamen die Fische und Geister des Meeres. Wenn nun die Nebel über den See ziehen, sucht die Wasserfei ein irrendes Fahrzeug, um die Menschen in ihrer Gier nach dem Golde zu strafen. Die Fische und Geister in ihrem Dienste tragen den Schatz zu den Menschen aufs Schiff, das unter der schweren Last versinken muß. - Oft schon traf es einen, der schuldlosen Herzens alle Reichtümer der Welt verlachte. Das ist der Spuk des güldenen Schatzes, wenn die Nebel wallen."- Wieder hörte Willem die Meerminne singen:
Hohö, hohö, der Schatz vom See,
Der güldene Schatz ist dein!
Erschrocken riß Willem seine Augen auf: Der güldene Schatz
aus dem See lag aufgehäuft auf dem Deck seines Kahnes und zwischen
Kronen und Armspangen, goldenen Schwertern und Bändern saß
ein Nickelmann mit einem Hechtkopf und glotzte ihn an. Wiethen,
häßliche Grätenfische, tanzten mit kleinen Elfen,
Froschmänner faßten nach den Irrwischen und wiegten sich im
Ringelreihn; um all das wob die Nebelfee wallende Schleier.
An dem Steuer, fast
auf Willems Schoß, saß die wunderschöne Wasserfei mit
silbernen Fäden im Haar. Ihre Augen waren grüne Smaragden und
ihre Lippen rote Korallen. Willem drückte Antjes
Tulpenstrauß noch fester an sich. Sie aber blies seine Laterne
aus, umschlang ihn und küßte ihn. Dem armen Willem grauste
vor der kalten schuppigen Fischhaut der grünen Nixe und er dachte
immerzu an Antje. -
Antjes Herzeleid war groß. Willem war nicht wiedergekommen. Unentwegt saß sie oben am Ausguck ihrer Mühle und lugte aus. - Das Licht in der Nacht blieb verschwunden. Doch eines Abends war es ihr, als steige fern aus dem Wasser ein Licht, als stiege es höher und höher und bliebe als heller Stern am Himmel stehen. - "Armer Willem!" seufzte Antje, und das kleine wehe Herz sprang ihr aus der Brust in die Mühlsteine.